CBD bei multipler Sklerose

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung

  • Diagnostiziert wird die Krankheit vor allem bei Frauen zwischen 20 und 40 Jahren

  • Der Krankheitsverlauf und die Symptome variieren von Fall zu Fall stark

  • Die Ursache von MS ist ungeklärt, eine Heilung gibt es aktuell noch nicht

  • Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Symptome und den Verlauf der MS zu lindern

  • In Deutschland ist das THC/CBD-Präparat Sativex als Mittel gegen mit der MS einhergehende Spasmen zugelassen

  • Studien legen nahe, dass CBD bei mehreren MS-Symptomen Abhilfe verschaffen kann

Die multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, die das zentrale Nervensystem betrifft. MS wird am häufigsten bei jungen Menschen zwischen 20 und 40 Jahren diagnostiziert. Weltweit sind circa 2,5 Millionen Menschen an der MS erkrankt, allein in Deutschland beträgt die Zahl der Betroffenen rund 200.000. Frauen erkranken außerdem ungefähr doppelt so häufig wie Männer. Der Krankheitsverlauf sowie die auftretenden Symptome variieren von Fall zu Fall sehr stark – daher spricht man auch von der „Krankheit mit den vielen Gesichtern“. Wir wollen der Frage nachgehen, welche Therapiemöglichkeiten es allgemein gegen die multiple Sklerose gibt – und welche Auswirkungen Cannabinoide wie Cannabidiol (CBD) haben können.

Was ist MS? Wie sehen die Symptome aus?

Der Begriff der multiplen Sklerose setzt sich zusammen aus dem lateinischen Begriff multiplex, was mit „vielfach“ oder „vielfältig“ übersetzt werden kann, sowie dem altgriechischen Wort skleros, das „hart“ bedeutet. Zusammengesetzt bedeutet multiple Sklerose also einfach „vielfache Verhärtung“. Gemeint ist die krankhafte Verhärtung von Geweben und Organen. Etwas konkreter wird die Erkrankung auch als Encephalomyelitis disseminata bezeichnet: verstreut vorkommende Entzündungen von Nervengewebe des Gehirns und Rückenmarks.

Denn bei der multiplen Sklerose werden durch das eigene Immunsystem Teile von Nervenfasern sowie ganze Nervenfasern und -zellen im zentralen Nervensystem zerstört.

Die Auswirkungen der Krankheit, also die Symptome, die auftreten, sind unterdessen äußerst heterogen. Teilweise beeinträchtigen sie die Betroffenen kaum, oftmals erschweren sie das alltägliche Leben aber auch sehr stark. Welche Symptome auftreten ist davon abhängig, in welcher Region des zentralen Nervensystems die Entzündungen genau auftreten. Entzündungen im Bereich des Sehnervs führen zu Sehstörungen, Entzündungen in sensiblen Bahnsystemen des Rückenmarkes verursachen Sensibilitätsstörungen, Taubheitsgefühle und Schmerzen, die häufig auf die Extremitäten ausstrahlen. Spasmen, Gehbehinderungen, Müdigkeit, Sprech- und Schluckstörungen oder depressive Störungen sind weitere gängige Symptome. Die Liste ist lang – und die multiple Sklerose eine unberechenbare Krankheit.

Die unterschiedlichen Verlaufsformen

Der Verlauf der MS ist ebenfalls von Fall zu Fall unterschiedlich. Häufig verläuft die multiple Sklerose jedoch zunächst in Schüben. Unter einem Schub wird das Auftreten eines Symptoms über mindestens 24 Stunden verstanden. Besteht das Symptom dann von wenigen Tagen bis zu mehreren Wochen und geht danach zunächst einmal wieder zurück, spricht man von einer Remission. Bei der schubförmig remittierenden MS können einzelne Schübe klar voneinander abgegrenzt werden. Häufig folgt nach einigen Jahren eine sekundär progrediente MS, bei der die Schübe immer schwieriger voneinander abzugrenzen sind und manche Symptome dauerhaft auftreten. Bei der primär progredienten MS verläuft die Erkrankung derweil von vornherein nicht in Schüben, sondern die Symptome verschlimmern sich mit der Zeit und gehen nicht wieder zurück. Diese Verlaufsform tritt deutlich seltener und vor allem bei älteren Patienten auf.

Ursachen und Therapiemöglichkeiten

So vielfältig die Symptome sind, so unklar ist die genaue Ursache der multiplen Sklerose. Es existieren zwar diverse Studien und Theorien, die eine erhöhte Erkrankungswahrscheinlichkeit etwa durch Rauchen oder Infektionen nahelegen. Die konkrete Ursache für die Autoimmunerkrankung bleibt aber weiterhin im Dunkeln. So gilt die MS auch noch immer als unheilbar. Es existieren aber verschiedene Therapiemöglichkeiten, die die Schübe abschwächen, den Verlauf der Krankheit verlangsamen und die Symptome bekämpfen können.

Schubtherapien haben das Ziel, die Intensität der einzelnen Schübe abzuschwächen. Vor allem bei solchen Schüben, die an MS Erkrankte im Alltag stark einschränken, wird eine spezielle Schubtherapie eingesetzt. Glucocorticoide, also Cortison, wirken beispielsweise entzündungshemmend und bewirken unter anderem, dass weniger weiße Blutkörperchen in die Entzündungsherde im zentralen Nervensystem einwandern können. So werden Cortisonpräparate üblicherweise drei bis fünf Tage hochdosiert intravenös verabreicht, um die Intensität eines Schubes abzuschwächen. Schlägt die Cortison-Therapie nicht an, dann kann bei stark einschränkenden Schüben als nächster Schritt eine Plasmapharese folgen. Das ist ein dialyseähnliches Verfahren, das umgangssprachlich auch als Blutwäsche bezeichnet wird und bei dem Antikörper aus dem Blutplasma des Patienten „herausgewaschen“ werden. Etwa die Hälfte der Betroffenen erfahren durch die Plasmapharese eine Besserung der Beschwerden.

Eine weitere Therapieform bilden die Immunmodulation und Immunsuppression, bei denen durch eine Unterdrückung und Modulation des Immunsystems mithilfe verschiedener Arzneimittel der Krankheitsverlauf verlangsamt werden soll. Durch Immunsuppressiva wird die Vermehrung der weißen Blutkörperchen gebremst, was zu verminderten Entzündungsherden im zentralen Nervensystem führen soll. Diese Art der verlaufsmodifizierenden Therapie wird bei der MS in der Regel als Basistherapie verwendet und sollte nach der Diagnose frühestmöglich begonnen werden. So kann die multiple Sklerose zwar nicht geheilt, der Verlauf der Krankheit aber abgeschwächt oder sogar  etwas gebremst werden.

Symptomatische Therapien konzentrieren sich unterdessen darauf, konkrete mit der multiplen Sklerose einhergehende Symptome zu bekämpfen. Antidepressiva und psychologische Betreuung gegen Depressionen, logopädische Maßnahmen gegen Sprechstörungen, Medikamente gegen chronische Schmerzen: Zahlreiche Mittel und Therapien helfen den Betroffenen, den Alltag zu bewältigen. Auch die häufig auftretende Spastik, also die Verkrampfung der Muskulatur, kann behandelt werden – sowohl durch Physio- und Ergotherapie als auch mithilfe von muskelentspannenden Medikamenten. Seit Juli 2011 ist in Deutschland auch das Mundspray Sativex als Add-On-Therapie bei mittelschweren und schweren Formen der Spastik zugelassen. Sativex enthält den Arzneistoff Nabiximols. Dahinter versteckt sich nichts anderes als ein Cannabisextrak. Hauptbestandteil sind die Cannabinoide Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD).

CBD als symptomatische Therapie bei multipler Sklerose?

Cannabidiol ist also in Kombination mit THC bereits als Mittel gegen die mit der MS einhergehende Spastik zugelassen. Voraussetzung für diese Zulassung war, dass die Wirksamkeit des Sativex-Präparats durch Studien nachgewiesen werden konnte. 2018 veröffentlichten die spanischen Forscherinnen Ana Isabel Fraguas-Sánchez und Ana Isabel Torres-Suárez eine Metastudie1, also eine Übersicht über den medizinischen Nutzen von Cannabinoiden. In Bezug auf die multiple Sklerose zogen sie folgendes Fazit: „Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein oromukusales [in der Mundhöhle angewandtes] THC/CBD-Spray ein hilfreiches Mittel zur Behandlung von MS sein kann – speziell als Hilfe gegen Spasmen – und das bei keinen bedeutsamen Nebeneffekten. Tatsächlich ist diese Medikation in einigen Ländern bereits für die Behandlung von Spasmen und neuropathischen Schmerzen in Verbindung mit MS zugelassen.“

Bei einer der in der Metastudie aufgeführten Studien2 wurde nachgewiesen, dass bei MS-Patienten, die über drei Jahre Sativex verabreicht bekamen, ein klarer Rückgang an Spasmen zu verzeichnen war. Eine weitere Studie3 mit über 500 Patienten belegte, dass die mit dem THC/CBD-Präparat behandelten MS-Patienten – verglichen mit der Placebo-Kontrollgruppe – nicht nur weniger mit Spasmen zu kämpfen hatten, sondern dass sich das auf Cannabidiol und Tetrahydrocannabinol basierende Mittel auch gegen mit der MS einhergehende Schlafstörungen wirksam zeigte.

Weitere Studien4,5 besagten, dass THC und CBD auch gegen mit der MS verbundene Inkontinenz helfen könnten.

Gründe und Konsequenzen der positiven Effekte von CBD und THC

Die Cannabinoide CBD und THC haben also laut diverser Studien positive Auswirkungen auf verschiedene mit der multiplen Sklerose einhergehende Symptome. Hinzu kommen unzählige Erfahrungsberichte von Betroffenen, denen CBD-Öl oder ganzheitliches medizinisches Marihuana immens geholfen haben. Aber wie kommt das? Und was bedeutet das für die MS-Behandlung?

Der Grund für die Wirkung der Cannabinoide ist im körpereigenen Endocannabinoid-System sowie der komplexen Wirkungsweise von Cannabidiol zu suchen. Die Cannabinoide docken an die beiden bekannten Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems CB1 und CB2 an und stehen somit in vielfältiger Wechselwirkung mit zahlreichen Neurotransmittern und Neuromodulatoren wie Dopamin und GABA. Cannabidiol wirkt dabei primär allosterisch, moduliert die Rezeptoren also und verändert damit ihre Bindungseigenschaften. Vor allem die Aktivierung der CB1-Rezeptoren, die im gesamten zentralen und peripheren Nervensystem zu finden sind, kann so zu diversen positiven Effekten führen.6

Für die Behandlung der multiplen Sklerose bedeutet das Folgendes: CBD und ganzheitliche Cannabis-Extrakte können ein probates Mittel zur Bekämpfung von MS-Symptomen darstellen. Diese auf pflanzlicher Basis beruhenden Mittel variieren von Hersteller zu Hersteller und von Pflanze zu Pflanze – und auch ihre Auswirkungen auf den jeweils Betroffenen unterscheiden sich von Fall zu Fall stark. Im Gegensatz zur Immunmodulation und Immunsuppression tragen CBD und Cannabis darüber hinaus nicht zu einem verlangsamten Krankheitsverlauf bei.

Aber: Ob Spasmen, Schlafstörungen oder Schmerzen; CBD- und Cannabis-Präparate können das Leben eines jeden an der multiplen Sklerose Erkrankten erleichtern, Symptome abschwächen und ein sinnvolles Mittel sein, um manche therapeutische Mittel zu ergänzen oder sogar zu ersetzen. Jeder Betroffene muss jedoch für sich selbst herausfinden, welches CBD- oder Cannabis-Mittel ihm die größte Linderung verschafft und welche Wirkung genau eintritt. Ein Ausprobieren lohnt sich also in jedem Fall – vor allem angesichts der nur leichten und oft sogar gänzlich fehlenden Nebenwirkungen.

Zusammengefasst gesagt, können Cannabidiol und Cannabis die multiple Sklerose leider nicht heilen und auch nicht aufhalten. Sie können aber zu einer deutlich höheren Lebensqualität führen.

  1. Fraguas Sánchez, A. & Torres-Suarez, A. Medical Use of Cannabinoids. Drugs 78. 2018: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30374797
  2. Notcutt, W. et al. A Placebo-Controlled, Parallel-Group, Randomized Withdrawal Study of Subjects with Symptoms of Spasticity Due to Multiple Sclerosis Who Are Receiving Long-Term Sativex® (Nabiximols). Multiple Sclerosis Journal vol. 18, no. 2, Feb. , pp. 219–228. 2012: https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/1352458511419700
  3. Novotna, A. et al. A randomized, double-blind, placebo-controlled, parallel-group, enriched-design study of nabiximols (Sativex (R)), as add-on therapy, in subjects with refractory spasticity caused by multiple sclerosis. European journal of neurology 18. 2011: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1468-1331.2010.03328.x
  4. Brady, C. M. et al. An Open-Label Pilot Study of Cannabis-Based Extracts for Bladder Dysfunction in Advanced Multiple Sclerosis. Multiple Sclerosis Journal vol. 10, no. 4, pp. 425–433. 2004https://journals.sagepub.com/doi/10.1191/1352458504ms1063oa
  5. Freeman, R. M. et al. The effect of cannabis on urge incontinence in patients with multiple sclerosis: A multicentre, randomised placebo-controlled trial (CAMS-LUTS). International urogynecology journal and pelvic floor dysfunction. 17. 636-41. 2006: https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00192-006-0086-x
  6. Kogan, N. M. & Mechoulam, R. Cannabinoids in health and disease. Dialogues in clinical neuroscience vol. 9,4: 413-30. 2007: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18286801