Terpene, Flavonoide und der „Entourage-Effekt“

Das Wichtigste in Kürze:

  • In der Cannabispflanze sind auch Terpene und Flavonoide (sekundäre Pflanzenstoffe) enthalten

  • Studien zufolge verstärken diese Stoffe die Wirkungskraft von CBD und anderen

  • Die Wirkung von isoliertem CBD ist begrenzt

  • Ganzheitliche Cananbisextrakte wirken bereits bei kleinen und auch bei größeren Mengen

  • In Verbindung mit anderen Pflanzenstoffen hat CBD ein großes therapeutisches Potenzial

  • Beim Kauf und Gebrauch von CBD-Produkten sollte darauf geachtet werden, dass es sich um ein Vollspektrum-Produkt handelt

Die Wirkungsweise von Cannabidiol (CBD) ist vielfältig – das Cannabiniod aus der Cannabispflanze wirkt in mehrfacher Hinsicht auf den menschlichen Körper ein. Also sollte man doch meinen, dass man CBD einfach aus der Cannabispflanze extrahieren müsste, et voilà: Fertig ist ein wirkungsvolles Mittel auf pflanzlicher Basis. Richtig? Nicht ganz. CBD ist zwar ein besonderes Molekül, die Hanfpflanze zieht ihre therapeutischen Implikationen aber nicht nur aus Cannabidiol. Ansonsten könnte ich mich ja auch einfach den „CBD-Doc“ nennen. Ich bin aber aus gutem Grund der Cannabis-Doc.

Isoliertes CBD im Gegensatz zu ganzheitlichen Cannabis-Züchtungen

Die Pharmaindustrie konzentriert sich seit Jahrzehnten auf einzelne Wirkstoffe, bestimmte Moleküle, die zur Behandlung spezieller Krankheiten dienen. So weit, so naheliegend. Und auch in der Forschung mit Cannabidiol wurde viel mit reinem CBD gearbeitet – mit vielversprechenden Ergebnissen. Studien ergaben aber, dass die vielen verschiedenen Bestandteile der Cannabispflanze diverse positive Effekte auf den menschlichen Körper haben können und sich gegenseitig sogar noch verstärken. Der Begriff dafür lautet: Entourage-Effekt (Entourage, französisch: einfassen, umgeben). Getreu dem Motto „zusammen sind wir stark“ arbeiten die verschiedenen Inhaltsstoffe der Cannabispflanze zusammen, bilden Synergien und sind dadurch für medizinische Zwecke viel wirkungsvoller, als es ein reines CBD-Extrakt je sein könnte.

Ein in Israel arbeitendes Forscherteam um den tschechischen Cannabis-Pionier Lumir Hanus, der erstmals das körpereigene Cannabinoid Anandamid entdeckte, veröffentlichte im Februar 2015 eine Studie1, in der es genau um dieses Thema ging. Also darum, reine CBD-Präparate mit einem Cannabis-Extrakt zu vergleichen, das zwar auch einen hohen Anteil an CBD, aber auch die übrigen Cannabinoide, Terpene und Flavonoide enthielt. Getestet wurde, wie gut CBD Entzündungen bekämpfen kann. Das Ergebnis: Reines CBD hatte eine, wie die Forscher es nannten, „bell‐shaped dose‐response“, also eine glockenförmige Dosis-Reaktion. Das bedeutet, dass das pure CBD erst ab einer bestimmten Menge Wirkung zeigte, diese Wirkung bei mehr Wirkstoff auch anstieg, bei noch mehr jedoch auch wieder drastisch sank. Als Grafik dargestellt hat das eine glockenförmige Kurve zur Folge.

Wie sah es hingegen aus bei dem CBD-reichen Cannabisextrakt, das übrigens kaum THC enthielt und damit so gut wie überhaupt nicht psychoaktiv war? Der Titel der Studie verrät es schon: Der „Glockeneffekt“ verschwand, die Wirkung sogar kleiner Mengen des Produkts war beachtlich – und fiel bei höherer Dosierung nicht wieder ab.

Die logische Schlussfolgerung ist also, dass in der therapeutischen Nutzung von CBD keine reinen CBD-Extrakte verwendet werden sollten. Ganzheitliche Cannabis-Mittel mit einem hohen CBD-Anteil sind klar vorzuziehen. Beim Kauf von CBD-Produkten ist es also extrem wichtig, darauf zu achten, dass es sich um ein Vollspektrum-Produkt handelt.

Terpene: Nicht bloß Garanten für guten Geruch

Gehen wir jedoch noch einmal einen Schritt zurück. Terpene und Flavonoide – was versteckt sich dahinter? Terpene und Flavonoide sind flüchtige sekundäre Pflanzenstoffe, die zahlreich in der Cannabispflanze zu finden sind. Vor allem die Wirkungen von Terpenen und den eng verwandten Terpenoiden sowie deren Synergien mit Cannabinoiden stellte der US-amerikanische Forscher Ethan Russo schon 2011  in einer wissenschaftlichen Arbeit2 heraus. Terpene sind Hauptbestandteil der in Pflanzen produzierten ätherischen Öle und damit verantwortlich für den Geruch einer Pflanze. In seiner Arbeit untersuchte Russo beispielsweise Terpene wie Limonene, die Zitronen ihren unverkennbaren Geruch bescheren, oder Pinene, die etwa in Fichtennadeln oder Fenchel vorkommen, sowie deren Synergien mit Cannabinoiden. Demzufolge sollen beispielsweise Limonene in Verbindung mit CBD angstlösend und immunstimulierend wirken, während Nerolidol – unter anderem Bestandteil von Ingwer und Zitronengras – zusammen mit THC und CBN (Cannabinol) beruhigende Wirkungen entfaltet. All diese Terpene und noch viele weitere – mindestens 200 – sind auch in der Cannabis-Pflanze zu finden.

Besonders interessant in diesem Konvolut an Terpenen ist Beta-Caryophyllen, das unter anderem auch in schwarzem Pfeffer, Oregano und vielen essbaren grünen Pflanzen zu finden ist. Es ist das einzige bis dato bekannte Terpen, das direkt an einen Cannabinoid-Rezeptor bindet – und zwar an CB2, wie der Schweizer Jürg Gertsch bereits 2008 entdeckte. Gertsch kam zu dem Schluss, dass Beta-Caryophyllen ein „diätisches Cannabinoid“ ist.3 Damit meint er, dass wir es über die Nahrung aufnehmen können und dass es wie CBD und THC an die Cannabinoid-Rezeptoren in unserem körpereigenen Endocannabinoid-System bindet. Die Stimulation des CB2-Rezeptors hat diverse gesundheitliche Vorteile zur Folge, unter anderem eine allgemeine Immunstimulation. CBD erhöht die Bindungsaffinität von Beta-Caryophyllen am CB2-Rezeptor und verstärkt so dessen Wirkung. Ethan Russo betont in seiner Arbeit daher auch, dass Beta-Caryophyllen ein großes Potenzial als therapeutischer Wirkstoff hat – ebenso wie die anderen Terpene vor allem im Zusammenspiel mit Cannabinoiden wie CBD und THC.

Welches Fazit lässt sich also ziehen?

Ethan Russo formuliert es so, dass die Interaktionen zwischen Cannabinoiden und Terpenen „Synergien hervorrufen könnten in Bezug auf die Behandlung von Schmerz, Entzündungen, Depressionen, Angstzuständen, Süchten, Epilepsie, Krebs sowie Pilz- und Bakterieninfektionen“.

Das israelische Forscherteam um Lumir Hanus konstatierte derweil 2015, dass die Überwindung der glockenförmigen Reaktion von reinem CBD durch die Verwendung eines ganzheitlichen Cannabis-Extraktes mit hohem CBD-Anteil folgenden Schluss zulasse: „Unsere Daten, genauso wie die von anderen, liefern eine Legitimation für eine neue Generation an Phytopharmazeutika zur Behandlung von Krankheiten, die bis dato ausschließlich mit synthetischen Medikamenten behandelt wurden.“ Im Gegensatz zu isoliertem CBD sei CBD in Kombination mit Terpenen, Flavonoiden und den anderen in der Cannabispflanze vorhandenen Cannabinoiden ein wirkungsvolles therapeutisches Mittel bei einer Vielzahl von Krankheiten und Beschwerden – dem Entourage-Effekt sei Dank.

  1. Gallily, R. et al. Overcoming the Bell-Shaped Dose-Response of Cannabidiol by Using Cannabis Extract Enriched in Cannabidiol. Pharmacology & Pharmacy 06. 75-85.  2015: https://www.researchgate.net/publication/273352080_Overcoming_the_Bell-Shaped_Dose-Response_of_Cannabidiol_by_Using_Cannabis_Extract_Enriched_in_Cannabidiol
  2. Russo, E. Taming THC: potential cannabis synergy and phytocannabinoid-terpenoid entourage effects. Br J Pharmacol. 163(7):1344–1364. 2011: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3165946/
  3. Gertsch, J. et al. Beta-caryophyllene is a dietary cannabinoid. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 105. 9099-104. 2008: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18574142